Ich
schreibe diesen Text in der männlichen Form. Nathalie Lüthi
wird das nicht gefallen aber ich finde es so anstrengend, diese Doppelformen
zu lesen und als Frau kann ich mir dies leisten :-). Ich danke für
das Verständnis.
Wenn Du neu in die Ecole kommst, weisst Du nicht so richtig, was Dir
passiert. Auf den ersten Blick scheint es keine Strukturen zu geben.Ein
Glück, dass da ein "helfender Kamerad" auf Dich wartet.
Es ist ein Schüler, der Dir in der nächsten Zeit helfen wird,
Dich zurecht zu finden.
Du ziehst also in Dein Zimmer ein, das Du vielleicht mit jemandem teilst,
der eine Sprache spricht, die Du (noch) nicht kennst. Willkommen in der
Ecole! Am ersten Tag hast Du nun also einen Zimmerkameraden, einen helfenden
Kameraden und eine ganze "Familie" gewonnen. Diese besteht aus
zwei Mitarbeitern und einigen anderen neuen und alten Schülern aus
aller Welt. Die Ecole besteht aus verschiedenen Häusern, die überall
im Dorf Goldern stehen. Das Zentrum bilden die Häuser um den Max
Cassiererplatz. Dort trifft man sich zum Basketballspiel, Volkstanz, Skateboarden
und vielem mehr oder man lässt sich auf der grossen Treppe zu einem
Schwatz nieder.
Das Geräusch eines grossen Gongs holt Dich morgens (früh morgens!)
aus dem Schlaf. Also: Ab unter die Dusche (zu meiner Zeit hiess das noch
kalte Dusche, dies hat sich inzwischen geändert) und runter in den
Essaal. Das heisst, vorausgesetzt es ist Winter, denn im Sommer besammelst
Du Dich erst mal mit Deiner "Familie" vor Deinem Haus zum Morgensport.
Nicht jedermanns Sache, kann ich gut nachfühlen, ist aber ganz lustig.
Das Essen nimmst Du jeweils an einem Tisch mit Deiner "Familie"
ein. Einige Schüler servieren das Essen (eine der beliebtesten "Putzpausen"
an der Schule). Dann werden meist verschiedene Informationen verlesen
und ab geht's ..... eben ..... in die Putzpause. Ein schönes Wort
für einen möglicherweise unangenehmen Job, den Du nun so zwei
Wochen lang nach jedem Frühstück erledigen wirst. Kann sein,
Du schrubbst Toiletten, oder Du wäschst Geschirr oder Du machst Ordnung
um die Häuser - je nach Saison Laub rechen, Schnee schaufeln, Unrat
zusammensuchen - was meine Lieblingsputzpause war.
Das erste Schulfach dauert dann ca. 1 1/2 Stunden,
die nächsten zwei je eine Stunde. Du wirst pro Trimester jeden Morgen
die gleichen drei Fächer studieren, dies gibt Dir die Möglichkeit,
Dich eingehend mit dem entsprechenden Thema zu beschäftigen. Diese
Fächer hast Du übrigens selber gewählt ..... nur wenn Du
wie ich versuchst, drei Jahre lang Deutsch zu nehmen, weil es einfach
ist, wird die Schulleitung eingreifen :-) Dank der kleinen Klassen wirst
Du viel profitieren.
Nach dem Essen findet die Mittagsruhe statt, Du hast Zeit für Dich
selbst, für Deine Hausaufgaben oder was immer Du Lust hast, nur leise
und in Deinem Zimmer musst Du sein. Ach ja, Radio hören oder fernsehen
ist nicht: Solche Geräte hast Du in Deinem Zimmer nicht. Aber Du
darfst gerne selber ein Instrument spielen ... wenn auch nicht gerade
in der Mittagsruhe.
Der Gong erinnert Dich daran, dass es nun Zeit ist für die Nachmittagskurse.
Diese sind ausschliesslich musischer, künstlerischer oder sportlicher
Natur. Die Ausbildung in der Ecole soll alle Fähigkeiten fördern,
nicht nur die intellektuellen. Also wirst Du jetzt zum Volkstanz, Basketball,
Töpfern oder Klettern gehen ..... es wird Dir schwer fallen, Dich
zwischen all den Angeboten zu entscheiden. Natürlich hast Du nun
auch Freizeit und kannst Dich jetzt und nach dem Abendessen bis 20.15
Uhr mit den rund 150 anderen Menschen in der Ecole treffen, mit ihnen
in dieser wunderschönen Gegend spazieren gehen, bei interessanten
Gesprächen Tee trinken (Tee trinken ist DIE Beschäftigung in
der Ecole ... selbst die Engländer können da nicht mithalten).
Allerdings solltest Du nicht vergessen, Deine Hausaufgaben zu machen oder
Deine Wäsche zu waschen, denn es ist niemand da, der das für
Dich tut oder Dir sagt, DASS Du es tun sollst.
Am Freitag nachmittag ist schulfrei. Toll, denkst Du aber Du wirst sehr
beschäftigt sein: Erst kommt die grosse Putzpause, nun wird aber
mal richtig geputzt! Dann findet die Schulgemeinde statt, an der alle
möglichen Themen des Zusammenlebens in der Ecole besprochen und Beschlüsse
gefasst werden. Zusammen, Deine Meinung ist gefragt! Zu meiner Zeit gab
es nur zwei Themen, die tabu waren: Das Essen und das Rauchverbot. Wie
ich gehört habe, soll das Essen sich inzwischen so verbessert haben,
dass wohl gar keine Klagen mehr nötig sind und das Rauchverbot ......
ja das Rauchverbot .... am besten gar nicht damit anfangen, es bringt
ehrlich echt Ärger, ich spreche aus Erfahrung.
Nach der Schulgemeinde finden dann die Gruppentreffen statt. Es gibt alle
möglichen Gruppen zu den verschiedensten Aufgaben in der Ecole. Ich
war damals in der Putzplangruppe, die die Putzpläne pünktlich
und möglichst gerecht erstellen und aushängen mussten.
Am Wochenende hast Du viel freie Zeit. Man trifft sich zur Singgemeinde
und am Samstag abend findet abwechslungsweise ein Disco- oder ein Volkstanzabend
statt. Bist Du im Teeny-Alter ist der Discoabend natürlich ausgesprochen
wichtig für das Privatleben der nächsten zwei Wochen: Wird er
mich zum slow auffordern oder wird er nicht?! Oder soll ich vielleicht
.....?
Am Sonntag abend trifft man sich dann zur Andacht, die oft von Schülern
organisiert wird. Trotz des Namens ist dies nicht eine religiöse
Veranstaltung, bei den vielen verschiedenen Religionen, die in der Schule
vertreten sind, soll für keine missioniert werden.
Wie schon erwähnt: Im Sommer machst Du jeden morgen Morgensport
aber warte erst mal bis der Winter kommt! Dann gehst Du jede Woche einen
ganzen Tag Ski fahren! Das heisst, Du darfst nicht in die Schule, Du musst
Ski fahren, ist das nicht schrecklich ;-)
Ich seh' Dich schon jeden Morgen in voller Skimontur zum Frühstück
erscheinen. Und welche Enttäuschung, wenn es heisst "nicht heute".
Es gibt jedes Jahr eine 1-tage-, eine 3-tage- und eine 6-tage Wanderung.
Also für mich war die Vorstellung beim ersten Mal absolut schrecklich.
Wandern, nein so was! Ich habe alles versucht; Mich im Standquartier bei
den Kranken anzumelden, eine Mischung von Shampoo, Seife, Senf und was
meine Zimmerkollegin Anahi sonst noch so zusammen mixte zu trinken .....
schlecht wurde es mir "big time", erbrechen musste ich auch,
am Morgen war ich völlig zittrig auf den Beinen aber man versorgte
mich mit einer grossen Portion Traubenzucker und ab ging's auf die Sigi
Pommer Wanderung in den (das?) Tessin. Es war eine tolle Woche! In den
folgenden Jahren machte ich dann Skitouren mit Georg Brabant, ich hoffe,
es gibt auch heute Mitarbeiter, die solche Touren veranstalten, es ist
ein Erlebnis, sechs Tage auf Skiern in den Bergen zu wandern.
Während des Jahres gibt es noch viele andere Veranstaltungen, die
organisiert und genossen werden wollen. Sei es das grosse Sommerfest,
oder das Shakespeare-Stück, das natürlich in englisch einstudiert
und aufgeführt wird, die Volkstanzgruppe, die auch ausserhalb der
Schule Aufführungen abhält. Zu meiner Zeit bauten wir den Waldsportplatz
- heute gehen die Schüler zum Beispiel zum Treffen mit Al Gore, um
sich über Umweltpolitik zu unterhalten: Die Beschäftigungsmöglichkeiten
und Interessen sind so vielfältig wie die Menschen an dieser Schule.
Etwas besonderes ist auch die Projektwoche, in der der Schulunterricht
einer ganzen Woche auf ein einziges Thema konzentriert ist. Diese Themen
werden selbst gewählt.
Hast Du ein Problem, kannst Du Dich an den Kameradenrat wenden, eine
Gruppe von Schülern, die sich mit den Problemen an der Schule im
allgemeinen und persönlichen Angelegenheiten von Schülern im
Speziellen auseinandersetzt und diese auch gegenüber der Schulleitung
vertritt.
Das wichtigste an der Ecole ist das Zusammenleben, die Gleichberechtigung
aller. Du bist hier nicht einfach Schüler, befolgst die Regeln und
passt Dich an. Nein, Du sollst die Schule mitgestalten, Deine Meinung
und Kreativität sind gefragt. Deine Lehrer sind Deine Kollegen. Aber
wenn Du willst, dass man auf Dich hört, musst Du lernen zu argumentieren
- und zuzuhören. Lösungen zu finden und Entscheidungen durchzuziehen.
Wenn Du Streit hast mit einem Mitschüler kannst Du ihn nicht einfach
beschimpfen und nach Hause gehen - Du bist hier zu Hause und er/sie lebt
mit Dir zusammen!
Das ganze Leben findet in mindestens zwei Sprachen statt: Deutsch und
Englisch. Dazu kommen natürlich die unzähligen Sprachen, die
die Schüler untereinander noch sprechen. Es wird das schweizerische
und das amerikanische Schulsystem angeboten, so dass alle problemlos nach
Abschluss der Ecole in ihrem Heimatland in die jeweiligen Schulen übertreten
können. Wenn Du willst, kannst Du bis zur Matura hier bleiben.
Die Ecole-Zeit ist für alle Schüler eine unvergessliche Zeit,
in der sie viel über sich und andere gelernt und Freunde für's
Leben gefunden haben. Ich kenne keinen Ecoleaner, der Probleme hat mit
den Zeichen unserer Zeit. Die Ecole d'Humanité ist der Mikrokosmos
unserer Erdengemeinschaft.

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